Künstliche Intelligenz erkennt Stechmückenarten am Flügelbild
BNITM-Forschungsteam entwickelt zuverlässiges Klassifikationssystem
Stechmücken übertragen zahlreiche gefährliche Krankheitserreger wie Malariaparasiten oder Viren wie das Dengue-, Chikungunya- oder West-Nil-Virus. Um Stechmücken gezielt zu bekämpfen, muss man sie genau identifizieren können. Eine korrekte Artbestimmung ist durch den Mangel an Expert:innen und hohen Kosten molekularer Methoden kompliziert und teuer. Künstliche Intelligenz kann helfen, die Stechmückenarten automatisiert und zuverlässig zu bestimmen. Forschende des Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) setzten dafür bei den Flügeln der Stechmücken an. Sie entwickelten ein auf maschinellem Lernen basiertes System, das Stechmücken anhand der Flügelmuster klassifiziert. Die Forschungsergebnisse erschienen in der Fachzeitschrift PLOS Computational Biology.

Stechmücken großflächig zu überwachen ist eine Herausforderung. Aber um frühzeitig warnen zu können und Krankheitsausbrüche von stechmückenübertragenen Erregern zu verhindern oder einzudämmen, ist genau dies wichtig. Erfahrene Insektenforscher:innen gibt es jedoch immer weniger und aufwändige Laboruntersuchungen sind teuer. Um hier Abhilfe zu schaffen, konzentrierten sich Dr. Renke Lühken, Leiter der BMFTR-geförderten Nachwuchsgruppe Arbovirus-Ökologie und der Arbeitsgruppe Vektorkontrolle am BNITM , und sein Team auf Künstliche Intelligenz (KI):
„Unser Ziel war es, ein zuverlässiges und praxisnahes KI-System zu entwickeln, das Stechmücken automatisiert und mit hoher Genauigkeit bestimmt. Zusätzlich sollte es unabhängig vom verwendeten Bildaufnahmegerät, der Erfahrung der Nutzerinnen und Nutzer und den Laborbedingungen funktionieren,“ sagt Lühken.
Einzigartige Flügel
Für die automatische Bestimmung der Stechmückenarten nutzte das Forschungsteam gezielt die Flügel und nicht den ganzen Körper. Denn die feinen Adermuster auf den Flügeln – feine verzweigte Linien – sind für jede Art typisch, ähnlich wie ein Fingerabdruck beim Menschen. Zudem verändern sich die Flügel nicht, wenn eine Stechmücke älter wird oder Blut gesaugt hat, während sich der Körper dabei stark unterscheiden kann. Weil Flügel flach sind, ist es besonders einfach, standardisierte Bilder von ihnen zu erstellen. Das hilft der KI, sogar anhand weniger Beispiele die Muster von seltenen Arten zu erkennen.

Mit maschinellem Lernen zu präziser Stechmückenidentifikation
Die Forschenden setzten für ihr System, den Mosquito Wing Classifier, auf eine besondere Form der KI: ein sogenanntes „Convolutional Neural Network“. Dabei handelt es sich um einNetzwerk, das sich besonders gut für die Analyse von Bildern eignet. Ein solches Netzwerk kann nach einem Lernprozess Strukturen, Muster oder Objekte selbstständig erkennen. Der Trainingsprozess läuft wie folgt ab: Die Forschenden zeigen dem Netzwerk viele Tausend bereits klassifizierte Flügelbilder. Es lernt dabei, nützliche Muster in den Bildern zu extrahieren und zu klassifizieren. Die typischen Aderverläufe in den Flügeln spielen hier eine wichtige Rolle. Am Anfang macht die KI Fehler und erkennt Arten falsch. Aber sie lernt aus diesen Erfahrungen, bis sie sehr zuverlässig klassifizieren kann. So lernt die KI eigenständig, welche Muster zu welcher Art gehören. Das nun „trainierte Netzwerk“ ist in der Lage, diese Muster in neuen, ihm unbekannten Bildern zu erkennen und ordnet diese automatisch den passenden Stechmückenarten zu.

„Das System erkennt selbstständig Muster, ohne dass wir das explizit programmieren mussten. Wir haben unser Netzwerk mit 14.000 Flügelbildern, aufgenommen mit unterschiedlichen Geräten, von 21 Stechmückenarten trainiert. Unser System kann nun mit einer Genauigkeit von 98,2 Prozent neue Flügelbilder automatisch einer Stechmückenart zuordnen“, so Kristopher Nolte, Erstautor der Studie und Doktorand in der Gruppe Vektorkontrolle.
Auf die Aufbereitung der Bilder kommt es an
Damit die Künstliche Intelligenz wirklich die entscheidenden Merkmale der Mückenflügel erkennt und sich nicht von Nebensächlichkeiten täuschen lässt, entwickelten die Forschenden einen mehrstufigen Aufbereitungsprozess für die Bilder. Dieser entfernt Störeinflüsse wie unterschiedliche Hintergründe oder Farbunterschiede.

Ein zentrales Problem vieler KI-Modelle besteht darin, dass sie unabsichtlich auf technische Details statt auf biologische Merkmale reagieren. In gezielten Experimenten zeigte das Team, wie stark solche Verzerrungen die Ergebnisse verfälschen können: Wenn etwa alle Bilder einer bestimmten Stechmückenart nur mit dem Smartphone aufgenommen werden, „lernt“ die KI, die Aufnahmetechnik, statt die Art zu erkennen. Genau hier setzt die Vorverarbeitung an, sie reduziert diese Verzerrungen deutlich, auch wenn sie sie nicht vollständig verhindern kann. Bei stark einseitigen Trainingsdaten sank die Genauigkeit der Klassifikation trotz der Vorverarbeitung der Bilder auf unter 40 Prozent.
Hohe Genauigkeit, einfache Anwendung und offen für alle
Die Studie zeigt, dass Künstliche Intelligenz die Artbestimmung von Stechmücken erheblich vereinfachen kann. Der Mosquito Wing Classifier erreichte eine sehr hohe Klassifikationsgenauigkeit von über 98 Prozent, selbst bei schwer unterscheidbaren Artenpaaren. In einer Vergleichsstudie erreichten erfahrene Expert:innen bei der Bestimmung von Stechmückenarten anhand von Fotos im Durchschnitt nur 81,5 Prozent Genauigkeit. Besonders robust zeigte sich die KI-Methode gegenüber bisher unbekannten Aufnahmegeräten und funktionierte unter realen Bedingungen zuverlässig. Die Forschenden stellen das Klassifikationssystem als frei zugängliche Anwendung bereit. Es kann entweder über eine Webplattform genutzt oder lokal auf Laptops und Computern in Feldstationen installiert werden.

Die Forschenden betonen jedoch, dass das System derzeit auf die Arten beschränkt ist, mit denen es trainiert wurde. Für den Einsatz in anderen Regionen oder bei neuen Arten sind daher weitere Bilddaten nötig. Langfristig ließe sich die Methode aber auch auf andere Insektengruppen ausweiten, etwa auf Sandmücken oder Gnitzen, die ebenfalls Krankheitserreger übertragen können.
„Mit unserem System können auch Personen ohne entomologische Ausbildung Stechmückenarten sicher bestimmen. Sogar ein Smartphone mit Makrolinse genügt dazu“, erklärt Kristopher Nolte. „Das kann die Überwachung von Überträgern von Krankheitserregern deutlich vereinfachen und helfen, schneller auf neue Vorkommen zu reagieren.“
Ansprechperson
Kristopher Nolte
Gruppe Vektorkontrolle
E-Mail : kristopher.nolte@bnitm.de
Dr. Anna Hein
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