Forschungshighlight

Erste wissenschaftliche Studie über Schlangenbisse in Malawi liefert wichtige epidemiologische Daten

Bei Schlangenbissen zählen drei Dinge: Schnelligkeit, gut ausgebildetes medizinisches Personal und ein wirksames Gegengift. Die erste Studie über Schlangenbissvergiftungen in Malawi "Health care workers' knowledge on identification, management, and treatment of snakebite cases in rural Malawi", zeigt, dass es dort noch Verbesserungspotenzial gibt. Sie ist kürzlich in der Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases erschienen.

The picture shows a photograph of a green mamba on a tree branch. The head of the snake can be seen from the side. Its right eye and the scales of its head are clearly visible. The rest of the body fades towards the upper left edge of the picture.
©Friederike Hunstig

Schlangenbissvergiftungen zählen zu den armutsassoziierten vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases, NTDs). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jedes Jahr etwa 5,4 Millionen Mal Menschen von Schlangen gebissen werden, 2,7 Millionen Mal werden dabei Menschen vergiftet. Bis zu 140.000 der Opfer sterben, etwa dreimal so viele werden versehrt. Am stärksten betroffen sind Afrika südlich der Sahara, Süd- und Südostasien und Lateinamerika.

Auch im südostafrikanischen Staat Malawi sind Schlangenbissvergiftungen ein erhebliches Gesundheitsproblem. Allerdings liegen kaum Daten vor, weder zu den tatsächlichen Fallzahlen, noch zur medizinischen Behandlung von Schlangenbissopfern, noch zu der Frage, ob diese überhaupt medizinische Einrichtungen in Anspruch nehmen. Es gibt nur wenig Literatur darüber, was das medizinische Personal über Schlangen weiß, wie es mit Schlangenbissvergiftungen umgeht und welche Gegengifte ihm zur Verfügung stehen.

 

Die Karte von Malawi zeigt die Verteilung der Dörfer mit gemeldeten Schlangenbissfällen zwischen 2018 und 2021.
Verteilung der Dörfer mit gemeldeten Schlangenbissfällen zwischen 2018 und 2021.   ©2022 Aron et al.

Eine internationale institutionenübergreifende Forschungsgruppe hat nun die erste wissenschaftliche Studie zur Epidemiologie von Schlangenbissvergiftungen in Malawi durchgeführt. Moses Aron, ein malawischer Doktorand der Forschungsgruppe Schlangenbissvergiftungen von Dr. Jörg Blessmann und Dr. Benno Kreuels innerhalb der neu eingerichteten Abteilung Implementationsforschung am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), führte diese Studie mit anderen Forschenden aus Malawi und Deutschland durch. Er wollte herausfinden, ob das Gesundheitspersonal die in Malawi vorkommenden Schlangenarten erkennen kann, wie es deren Giftigkeit einschätzt und wie es Schlangenbissopfer medizinisch behandelt. Dazu interviewte er Ärzte- und Pflegepersonal der 15 Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Neno im Südwesten des Landes und studierte die Patientenregister der Jahre 2018 bis 2021. In den Aufzeichnungen fand er 185 registrierte Schlangenbissfälle. Das entspricht einem Jahresdurchschnitt von 36 Fällen pro 100.000 Einwohner - die erste Schlangenbissinzidenz, die je für einen Bezirk in Malawi berichtet wurde.

Diskrepanz zwischen Gefahreneinschätzung und Wissen

Befragt wurden 105 Ärzt:innen, Pharmazeut:innen, medizinisch-technische Angestellte und Pflegekräfte. Fast 90 Prozent bezeichneten Schlangenbissvergiftungen als Problem im Bezirk. Viele berichteten von Beispielen aus ihrer beruflichen Praxis und von Komplikationen bis hin zu Amputationen.

Während zwei Drittel der Befragten die Giftschlangen erkannten, konnten 90 Prozent der Befragten ungiftige Schlangen nicht korrekt identifizieren. 95 Prozent berichteten, dass Schlangenbissopfer eher zu traditionellen Heilern gehen würden als ins Krankenhaus. Als Gründe nannten sie: zu große Entfernung zum Krankenhaus, zu hohe Kosten, fehlende Gegengifte, Misstrauen, Unkenntnis und Aberglaube. Dies legt nahe, dass die tatsächliche Zahl von Schlangenbissvergiftungen in Malawi deutlich höher liegt als aus den Krankenhausregistern ersichtlich.

Gut 70 Prozent des Gesundheitspersonals versicherten, in der Behandlung von Schlangenbissopfern geschult worden zu sein, die meisten von ihnen jedoch nicht im Rahmen der kontinuierlichen beruflichen Weiterbildung. Leitlinien für die Behandlung oder das Management von Schlangenbissen in Gesundheitseinrichtungen waren weitgehend nicht verfügbar.

 

Die Grafik zeigt, wie viele der Befragten sich mit giftigen und ungiftigen Schlangen auskennen.
90 Prozent der Befragten konnten ungiftige Schlangen nicht korrekt identifizieren.   ©2022 Aron et al.

Verfügbare Gegengifte: Fehlanzeige

Wahl, Dosierung und Verabreichung von Gegengiften variieren mitunter offenbar stark. Die meisten Studienteilnehmenden kannten die Zusammensetzung von Gegengiften nicht und stuften die korrekte Verabreichung des Medikaments als schwierig ein.

Ein gegen mehrere Schlangengifte wirksames Gegengift war zum Zeitpunkt der Umfrage nur in zwei Krankenhäusern verfügbar. Allerdings gibt es noch keine ausreichenden klinischen Daten, ob es auch gegen in Malawi vorkommende Schlangengifte wirkt. Andere auf dem afrikanischen Markt erhältliche klinisch getestete Produkte wirken zwar gegen das Gift der Westafrikanischen Sandrasselotter, diese kommt aber in Malawi nicht vor. Für weitere erhältliche Präparate fehlen entweder die Daten, oder sie haben sich als wenig wirksam erwiesen.

 

Das graue Balkendiagramm zeigt die Fallzahlen der gemeldeten Schlangenbissverletzungen im Distrikt Neno zwischen 2018 und 2021.
Fallzahlen der gemeldeten Schlangenbissverletzungen im Distrikt Neno zwischen 2018 und 2021.   ©2022 Aron et al.

„Diese erste Studie hat die Erwartungen von uns malawischen Kolleg:innen bestätigt, dass Behandlungsrichtlinien, regelmäßige Schulungen und wirksame Gegenmittel in Malawi erforderlich sind“, sagt Erstautor Moses Banda Aron. Diese retrospektive Studie sei erst ein Anfang. „Der nächste Schritt ist nun eine systematische prospektive Erfassung von Daten über Schlangenbisspatient:innen.“ Aron geht davon aus, dass mit Weiterbildungen die Behandlung verbessert werden könnte und mit einer klinischen Datenbank die (Un-) Wirksamkeit des vorhandenen Präparats nachgewiesen werden könnte.

Es hat sich gezeigt, dass Opfer von Schlangenbissen ihr Gesundheitsverhalten ändern, wenn ihre Gemeinschaft für das Thema sensibilisiert ist und Gegengifte verfügbar sind. Außerdem empfiehlt die WHO, dass medizinisches Personal mit traditionellen Heilern zusammenarbeitet.

Weitere Studien sind in Neno erforderlich, um das Verhalten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten, die lokalen Überzeugungen und das Wissen über Schlangenbisse in den Gemeinden zu verstehen. Darüber hinaus sind auch mehr epidemiologische Studien erforderlich, um das ganze Ausmaß des Problems der Schlangenbissvergiftung zu erfassen. Letzteres würde auch helfen, den Bedarf an Gegengift abzuschätzen und könnte dessen Beschaffung und Bereitstellung erleichtern.


Originalpublikation:

Aron, Moses Banda et al.: Health care workers’ knowledge on identification, management and treatment of snakebite cases in rural Malawi: A descriptive study. Plos Neglected Tropical Diseases Nov 21, 2022.

doi.org/10.1371/journal.pntd.0010841

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